Ulrich Krempel

 

Außen zum Innen zum Außen

 

Gudrun Kemsa hat die Wege des Lichts zum Gegenstand ihrer Fotografie gemacht. Die Wege vom Außen zum Innen zum Außen, die denkbaren Wege des Lichts und dessen den Gegenstand modulierende Qualität sind, wenn wir ihre Fotografien im Zusammenhang sehen, der eigentliche Anlaß ihres sehenden Betrachtens. Das Licht trifft auf die Gegenstände und gibt ihnen so erst die Form, oder aber: das Licht tritt ein in die Räume und benennt in ihnen die Dimension des Innen wie Außen in ihren Grenzbereichen. Licht tritt durch trennende Wände hindurch und beleuchtet die Durchlässe zwischen dem Außen und Innen, definiert eigentlich erst die Grenze, die Momente des Transitorischen. Unentwegt arbeitet die Fotografin mit dem, was Licht im Zusammenhang mit menschlicher Tätigkeit und menschlichem Sehen an ordnenden Elementen schaffen kann. Licht, das Räume strukturiert, das Räume in ihrer Ausdehnung und Begrenzung definiert, das Räume durch ihre Öffnungen beschreibt, das Räume dazu bringt, sich dem Blick des Betrachters zu öffnen.

 

Der weitgehende Verzicht auf Farbe hat zu konsequentem Umgehen mit den Hell-Dunkel-Kontrasten und den eigentlichen Lichtwerten der Helligkeiten gefühlt. Auch in den Arbeiten, die das Medium der Farbe einbeziehen, sind solche Modulationen das eigentlich Gemeinte, viel weniger die farbigen Unterschiede. Es geht um das Hell-Dunkel, es geht um das Licht. Es geht um die Strukturen, die Licht im Treffen auf menschliche Ordnungen und Gebäude produzieren kann. Es geht um das Eintreten des Lichts vom Innen zum Außen, vom Außen zum Innen. Es geht um Kenntnis und Sehen, um Licht, das erleuchtende Qualitäten hat, weil es das Sehen strukturiert und befördert.

 

In konsequenter Formulierung ist der Anlaß von Gudrun Kemsas fotografischer Arbeit in der Serie "Hamam" zu sehen, entstanden 1993 in Istanbul. Die Decke des Raumes, ihre verschiedenen Lichtdurchlässe und Strukturen, die Muster und Fensterausblicke im Hell-Dunkel des Raumes determinieren unser Sehen. Auf dem willkürlich gesetzten und die Dinge miteinander absichtsvoll in Beziehung bringenden Bildausschnitt dominieren das Grau und die verschiedenen Modulationen des dunklen Innenraumes; nur gelegentlich durchbricht ein Fensterdurchblick oder ein Durchbruch in der Decke das Dämmerlicht. Helles Licht fällt durch die Öffnungen von irgendwo - es muß das Außen sein, so mutmaßen wir - in den Raum, den wir gleichsam mit hochgerecktem Kopf blickend durchmessen. So hell das Licht, daß es die Begrenzungen der Öffnungen, die gleichwohl deutlich zu sehen sind, in seiner Lichtintensität deutlich überstrahlt.

 

Und nur gelegentlich trifft das einfallende Licht auf den Innenraum auf, auf die Wand des Gewölbes, und scheint so von innen gleichsam nach außen die Brücke zu schlagen zum Licht. Unser Auge spielt mit der Vision, daß das auftreffende Licht das gleiche sein könnte wie das eintretende und doch merken wir, daß dieses Spiel mit den Werten der Helligkeit, den Welten des Innen und Außen uns nur auf uns selbst und unser Sehen zurückwirft. Entpuppt sich doch die Illusion als eine, die nur für einen Moment des Hinblickens Bestand hat. Und doch definiert dieses Spiel von Hell und Dunkel, von Stahlen und Überstrahlen, von sehend Begreifen und im Sehen nicht mehr wahrnehmen können genau die Situation des Betrachters. Die Kamera folgt diesem Sehen, sie ist subjektiv, weil sie auf die Sichtweisen des stehenden Menschen eingeht und sie aufnimmt. Und doch ist sie weiter als der Mensch, hält sie doch einen Moment fest in einer Dauer, wie sie der sehende Mensch nicht ertragen könnte; würde ihn doch das gleißende Licht, das da einfällt, durch seinen harten Gegensatz zum Dunkel am Sehen hindern. Der Raum, definiert vom Licht, der Mensch, dessen Sehen determiniert ist durch die Art, wie die Kamera ihn leitet.

 

Lit.: "Architektur Fotografie", Ausstellungskatalog Kulturforum Alte Post, Neuss 1994