Reinhold Mißelbeck
Lichte Räume
Bei einem Rundgang durch Kölner Galerien stieß ich bei Janine Mautsch auf einige Räume mit Photoarbeiten von Gudrun Kemsa. So beiläufig das Ereignis war, so intensiv empfand ich die Begegnung mit dieser photographierten Architektur, wo sich Räume gleichsam als Lichterscheinungen im Rahmen abzeichneten. Die Ausstrahlung dieser Bilder war so stark, daß in einem kleinen weißen Raum, in dem nur zwei oder drei Bilder hingen, ein die Augen blendendes, weißes, atmosphärisches Flimmern entstand und man zögerte, diesen Raum zu betreten.
Die Bildmotive zeigen häufig Wandstücke mit Fenstern, oder im nach oben gerichteten Blick angeschnittene, aber auch im vollen Rund dargestellte Kuppeln. Sakrale Architektur findet sich ebenso wie Industriearchitektur. Historische Gebäude sind in der Mehrzahl vertreten, aber auch Sichtbeton oder Stahl und Glas erweisen sich als geeignet für Gudrun Kemsas Interesse, nicht die materielle Seite eines gebauten Raumes zu zeigen, sondern hervorzuheben, wie er durch das Licht gestaltet und als Raum modelliert wird. Dementsprechend zeichnet sie lichte Räume, sucht die Auseinandersetzung mit dem Gegenlicht, mit der Lichtquelle, von der aus der Raum durchflutet wird. Auch wenn diese noch so unscheinbar ist, lebt der Raum in seiner Wirkung doch ausschließlich von ihr, ist es dieses Eindringen des Lichts von draußen, das die Abgeschlossenheit des Raumes für die Augen erschließt. Das Licht, das die Unebenheiten der Mauer umschmeichelt und Flächen und Rundungen formt, verhilft in Gudrun Kemsas Bildern dickem Gemäuer zu Transparenz, einer diaphanen Durchlässigkeit, in der Mauerwerk, selbst Stahlbeton osmotische Fähigkeiten erwerben, die Weite und das Licht des Draußen aufzusaugen und in der Abgeschlossenheit des architektonischen Raumes zu verbreiten.
Hier mag der Grund dafür zu finden sein, weshalb zahlreiche Bilder mit dem flirrenden Licht, das sie umgibt, etwas Heiliges auszustrahlen scheinen, weshalb der Betrachter nach Geheimnissen sucht. In "St. Georg, Oberzell" stehen zwei dunklen doppelbogigen Rundfenstern zwei größere gegenüber, die nicht preisgeben, ob sie real oder gemalt sind, die wie holographische Erscheinungen auf der Wand sitzen und die zunächst flächig scheinende Mauer in eine Apsis verwandeln. In "Türkisches Bad IV, Akko" zeichnet das Mauerwerk vor weißgetünchtem Putz in fast manierierter Verzerrung ein Oval, das zweifellos eine Kuppel ist, jedoch im neutralen Weiß jeglichen Raum negiert, einen Blick ins Nichts freigibt. Umgekehrt präsentiert sich das blendend weiße Oval in "Pantheon, Rom" vor absoluter Schwärze und ist kosmische Lichterscheinung, Feuerball oder Öffnung ins Jenseits zugleich.
Es wäre falsch, Gudrun Kemsas Arbeiten als Architekturphotographie zu bezeichnen. Sie setzt sich mit Räumen auseinander, wobei es sie an ihnen insbesondere interessiert, daß sie vom unendlichen Raum etwas abtrennen, in sich abschließen, daß jedoch zum Raum draußen durch Fenster Verbindungen geschaffen werden, durch die das Licht als Vermittler auftritt. Das Licht macht sichtbar, daß Unendlichkeit auch in der Endlichkeit des abgeschlossenen Raumes steckt. Insbesondere sakrale Bauten sind so angelegt, dies ins Bewußtsein, oder besser ins Unterbewußtsein des Besuchers zu bringen. Licht wurde in der Geschichte stets als Mittler dieses Gedankens eingesetzt.
Gudrun Kemsas Photographie ist jedoch auch eine Auseinandersetzung mit der Photographie selbst,
deren Basis das Licht ist. Ihr Thema ist das Licht, ihre Arbeiten verweisen auf die gestaltenden Fähigkeiten des Lichts, auf seine Fähigkeiten zu formen, zu erläutern, aber auch irrezuführen,
sowohl Materielles, als auch Immaterielles vorzustellen. Das Fenster, durch das Licht fällt, ist Mittler zwischen Innen und Außen. Für Gudrun Kemsa ist es wie das Auge Mittler zwischen der Welt
und dem Ich: "Es fordert zum Sehen auf und öffnet den Blick des Menschen auf seine Umwelt und das eigene Innere. Innen und Außen alternieren, sind austauschbar."
Lit.: Gudrun Kemsa, Fotografien, Ausstellungskatalog Galerie Janine Mautsch, Köln 1992