Zu den Foto-Arbeiten von Gudrun Kemsa
Von Susanne Wedewer
Dem Licht auf der Spur, nicht hetzend, nicht jagend sondern wartend, abwartend, mit großer Geduld. Vom "Sehen, was das Licht macht" spricht Gudrun Kemsa, wenn es um den Dreh- und Angelpunkt ihrer Foto-Arbeiten geht. Doch - ist Fotografie nicht immmer auch dies festgehaltene Spiel von Licht und Schatten, diese Fixierung eines beleuchtetenden augenblicks? Gudrun Kemsa hält sich an architektonische Situationen, an Hausfassaden, enge Gassen, an Innen- und Außenräume, an Kirchen und Plätze - an Formen, an feste Begrenzungen. Konsequenterweise klammert sie Landschaft aus, bietet diese doch keine vergleichbaren Haltepunkte. Haltepunkte, Strukturen und Ordnungen, auf die sie angewiesen ist bei ihrer Suche nach dem Licht.
Gudrun Kemsa arbeitet mit Vorliebe mit einer Panorama-Kamera, einer Kamera, die das Objektiv um 120 dreht und so gleichzeitig wahrnehmbar werden läßt, was dem bloßen Auge stets als entweder/oder erscheint. Die simultan erfaßt, was dem Auge nur sukzessive möglich ist. Blickwinkel verschieben sich, Standpunkte sind nicht eindeutig, Erkennbares nicht klar erkennbar.
Die Welt der Gegenstände tritt in diesen Foto-Arbeiten zurück, taucht ein in die Welt des Lichts. Nicht im Sinne der Impressionisten, im Sinne Monets mit seiner berühmten Kathedrale von Rouen bei unterschiedlichen Tageszeiten und Lichtverhältnissen. Gudrun Kemsa konzentriert sich nicht auf die wechselnde Beleuchtung einer von ihr fotografierten Situation - Gegenständliches braucht sie allein, um Licht als Licht wahrnehmbar werden zu lassen oder anders formuliert, als Spiegelfläche für den allmählichen "Materialisationsprozeß" von Licht. Licht wird Materie! Dabei entstehen keineswegs surrealistische Fotogramme, vielmehr behält sie ihre Bindung an die Wirklichkeit, stets bei, wenn auch an eine durch verschiedene Umkehrprozesse, Filter und technische Verfahren strark verfremdete, farblich manipulierte. So verliert Selbstverständliches an Selbstverständlichkeit, Vertrautes wird befremdlich, wird fragwürdig. Verunsicherung entsteht - dort, wo Dreidimensionales als Fläche, Konvexes als Konkav, wo Materielles wie Stein immaterieller als Licht erscheint, sich auflöst. Dort, wo gleißende Helle überblendet, zu den Seiten und nach oben drängt, sich einbrennt oder scharze Licht-Formen den Bild-Raum erobern und sich ausbreiten. Von der "Beschleunigung des Lichts" ist oftmals im Zusammenhang mit den Arbeiten von Gudrun Kemsa die Rede - von seiner Beschleunigung? Es mag so scheinen, wenn das Licht zwischen den engen Häusergassen explodiert. Wenn das Licht aber seine schwarze Form annimmt, wird deutlich: Gudrun Kemsa ist der Langsamkeit des Lichts auf der Spur, der Stetigkeit seines Laufs. Und sie antwortet mit dem Prinzip der Serie, der Reihung und der strengen, fast geometrischen Komposition. Aufeinander in Abfole bezogen wird in den einzelnen Foto-Arbeiten die Bewegung von Licht anschaulich, ja greifbar.
Gudrun Kemsa zwingt zur Konzentration auf dieses Licht, indem sie Auskünfte über Standort und Ort verweigert; tatsächliche wie vermeintliche Blickwinkel gehen ineinander über wie auch künstliche und natürliche Lichtquellen - Gudrun Kemsa gibt dem Betrachter keinerlei Halt, keine Gewißheit. Ja, sie stellt Wahrnehmungsgewohnheiten systematisch auf den Kopf, gewohnte Wahrnehmungskategorien kehrt sie um, besetzt sie um, verkehrt sie in ihr Gegenteil: Licht und Schatten, weiß und schwarz, gut und böse, zuversichtlich und bedrohlich. Bei ihr aber nimmt Licht Form an in Schwarz, nicht in einer Farbe, denn Farbe lebt. Kemsa fixiert es als gleißende Helle oder schwarze Formung - aggressiv und explosiv, beunruhigend lastend.
Die Ausstellung "Roma Panorama-Fotografien" von Gudrun Kemsa ist vom 9.10. bis 1.11. in der Galerie Janine Mautsch, Eifelstr. 19, zu sehen.
In: Kunstzeit, 3/97