Anna Gripp

 

Studium in Krefeld - Interview mit Prof. Gudrun Kemsa

 

Anna Gripp / PHOTONEWS: Sie haben an der Düsseldorfer Akademie bei Prof. Karl Bobek und Prof. David Rabinowitch studiert; beide arbeiten künstlerisch primär im Bereich der Skulptur. Wie kam es, dass für Sie Fotografie und Video zu den bevorzugten Medien wurden?

 

Prof. Gudrun Kemsa: Mein Interesse an der Fotografie begann bereits mit 17 Jahren. Damals kaufte ich mir die erste Spiegelreflexkamera. Zu dieser Zeit entstanden neben Zeichnungen und kleineren bildhauerischen Arbeiten auch meine ersten SW-Fotografien. Noch zu Beginn meines Studiums an der Kunstakademie Düsseldorf arbeitete ich vornehmlich bildhauerisch, wobei ich die Skulpturen oft fotografisch dokumentierte. Später entwickelte sich daraus meine Leidenschaft für die Fotografie und ich erhielt für eine Serie von SW-Fotografien ein Reisestipendium vom Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen. Danach entschied ich mich endgültig für die Fotografie. Die Auseinandersetzung mit Raum und Zeit entstammt bildhauerischen Ideen und steht immer im Zentrum meiner Arbeit. Zur Fotografie kamen dann in den 90er Jahren als logische Folge Videoarbeiten hinzu, die bei mir immer eine Ausdehnung des Raumes und der Zeit ausdrücken.

 

Hatten Sie während Ihrer Studienzeit Kontakt zu der Fotografieklasse von Bernd Becher? Wie haben Sie die Fotografie an der Akademie erlebt?

 

Ja, natürlich hatte ich auch Kontakte zu Kommillitonen aus der Becher-Klasse. Aber nicht nur in der Becker-Klasse wurde mit Fotografie gearbeitet. Fotografie war auch in den anderen Klassen ein wichtiges künstlerisches Medium, besonders in den Bildhauerklassen wie in der Kamp-Klasse, der Schwegler-Klasse und auch der Klasse von David Rabinowitch.

 

Als Sie 2001 als Professorin an die Fachhochschule Niederrhein berufen wurden war Detlef Orlopp als Fotografieprofessor emeritiert, Rolf Sachsse verließ Krefeld wenig später und ist heute Professor in Saarbrücken. Was bedeutet die Reduktion auf eine Fotografie-Professor für den Stellenwert der Fotografie an der Hochschule?

 

Ich empfinde es als großen Verlust für unseren Fachbereich, dass Rolf Sachsse Krefeld verließ. Leider wurde seine Stelle mit anderen Inhalten besetzt und es wird auch in absehbarer Zeit nicht wieder eine zweite Professur für Fotografie geben. Fotografie ist in Krefeld keine eigene Studienrichtung, sondern war immer ein Wahlpflichtfach. Unsere Studienrichtungen sind Kommunikations-Design und Produkt-Design und neuerdings auch Raum- und Umgebungsdesign. Zurzeit wird zusätzlicher Bedarf in meinem Lehrgebiet mit Lehraufträgen abgedeckt.

 

Sie arbeiten künstlerisch mit Fotografie und Video und lehren im Studiengang Kommunikations-Design, der sich an angehende Designer richtet. Wie gut passt das zusammen?

 

Mein Lehrstuhl heißt ja nicht mehr "Fotografie" wie noch bei Detlef Orlopp, sondern wurde erweitert auf "Bewegte Bilder und Fotografie", und ich unterrichte die Fächer "Foto/Film", "Digitale Bildmedien" und "Experimentelle Mediengestaltung". Auch DesignerInnen müssen künstlerisch und kreativ arbeiten. Kreativität bildet die Grundvoraussetzung für diesen Beruf. In unserem Fachbereich wird die freie künstlerische Arbeit neben der angewandten besonders gefördert, und es besteht die Tradition, dass knapp die Hälfte der 16 Professuren von Künstlerinnen und Künstlern besetzt sind. Ich finde, das ergänzt sich sehr gut.

 

Demnach kommen angehende Kommunikations-Designer zu Ihnen, wenn sie das Wahlpflichtfach Fotografie belegen. Betreuen Sie alle Studierenden ab dem ersten Semester oder primär die älteren Semester? Wie kann ich mir Ihre Lehre vorstellen? Werden Aufgaben gestellt, gemeinsam Themen bearbeitet, freie Projekte betreut?

 

Ich betreue zur Zeit gemeinsam mit einem Lehrbeauftragten alle Studierenden der drei Studienrichtungen (Kommunikations-Design, Produkt-Design und Raum- und Umgebungsdesign) ab dem 1. Semester, die Foto/Film 1 als Wahlpflichtfach wählen. Im 1.Semester vermittele ich die Grundlagen der analogen Sachfotografie in Studio und Labor und beginne auch mit digitaler Fotografie in sehr offenen Themenstellungen. Für die folgenden Semester bieten wiederum offene Themenstellungen den Anlaß zur freien künstlerischen Arbeit. Dazu stehen den Studierenden ein breites Spektrum an Foto- und Videokameras, Fotostudio und -labor sowie Video-und Audioschnittplätze zur Verfügung. Ergebnisse können Fotografien, Fotobücher, Internetseiten oder auch Videoinstallationen sein. In meinen Veranstaltungen "Experimentelle Mediengestaltung" und "Digitale Bildmedien" und in den sogenannten Freien Projekten kommen die Studierenden mit eigenen Projektideen zu mir.

 

Können Sie ggf. Beispiele für Themen/Projekte nennen?

 

"City Views", "Grenzen überwinden", "Frau und Auto", "Menschen auf der Straße" - das sind Beispiele von Themen. Besonders gerne erinnere ich mich an ein Kooperationsprojekt mit Polizeikommissar-Anwärter/innen, die an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Duisburg studieren. Sie erarbeiteten gemeinsam mit unseren Studierenden ein Video über die Arbeit der Polizei in Krefeld. Die Zusammenarbeit werden wir im kommenden Wintersemester weiterführen. Und in diesem Sommersemester mache ich eine Veranstaltung mit Schwerpunkt auf Video und Audio gemeinsam mit der Musikerin Claudia Robbles, die mit Mitteln der Gleichstellung ermöglicht wird. Darauf freue ich mich schon sehr.

 

Sie haben in den letzten Jahren die Hochschulreform und die Einführung der neuen Bachelor- und Master-Studiengänge erlebt. Was hat sich für die Krefelder Studierenden geändert?

 

Die Kontaktzeit für die Veranstaltung Foto/Film 1 beinhaltet für die Erstsemester nicht mehr acht, sondern nur noch vier Semesterwochenstunden. Und die Zweitsemester studieren Foto/Film 2 nicht mehr mit vier, sondern nur noch mit zwei Semesterwochenstunden Kontaktzeit.

 

In welchen Bereichen arbeiten nach Ihrer Erfahrungen die Studierenden nach Abschluss ihres Studiums?

 

Viele Studierenden streben die Anstellung in Agenturen oder Firmen an, einige arbeiten als freie Designer/innen oder Künstler/innen. In unserem Fachbereich wird die freie künstlerische Arbeit neben der angewandten besonders gefördert, denn wir sind der Überzeugung, dass künstlerisches Denken Designer fördert, die sich von anderen Designern unterscheiden. Designer, die bei uns ausgebildet werden, können selbst Aufgaben und Fragestellungen generieren, sich selbstständig machen und künstlerisch frei arbeiten.

 

Der Begriff Fotografie scheint sich immer mehr aufzulösen und auch Ihre Lehre scheint geprägt von einem breiten medialen Ansatz. Was ist Ihrer Einschätzung heute noch das spezifisch Fotografische, das vermittelt werden kann?

 

Das spezifisch Fotografische bedeutet für mich die Beobachtung des Lichts, des Raumes und der zeitlichen Veränderung. Wichtig ist mir die Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung, die als dynamischer Prozess und permanente Abfolge von Sinneseindrücken funktioniert. Die Fotografie vermag das Gesehene in Einzelbildern aufzuzeichnen. Mehrere Bilder hintereinander erschaffen den Eindruck einer Bewegung. Für mich bildet die Fotografie die Grundlage von Erinnerung und zeitlicher Abfolge. Ich selbst erschaffe ja Fotografien und Videoinstallationen, bei denen das Licht, die Bewegung und auch der Ton eine wichtige Rolle spielen. Meinen Umgang mit Fotografie, Video und Audio empfinde ich als absolut inspirierend. So gelangen meine Ideen aus der Fotografie ins Video und umgekehrt. Der Philosoph Paul Good sagte einmal über das Licht in meinen Fotografien, "dass es Musik mit visuellen Mitteln macht". Da meine Fotografien oft rhythmisch aufgebaut sind, ist es logisch, dass Rhythmen in den Videoarbeiten hörbar werden. Ich bin auch der Meinung, dass mein breiter medialer Ansatz besonders inspirierend für meine Studierenden ist und dass daraus viele spannende Veranstaltungen entstehen.

 

In der aktuellen Ausstellung in Berlin werden Arbeiten von Ihnen sowie von Ihren Studenten gezeigt. Bei den Arbeiten der Studierenden steht die Inszenierung im Mittelpunkt. Wie kam es zu diesem Trend? Gibt es generell thematische und stilistische Schwerpunkte, die Sie benennen könnten?

 

Von mir und den Studierenden werden Fotografien und Videoarbeiten gezeigt. Die gezeigten Arbeiten der Studierenden stammen aus den letzten vier Jahren. Einen Trend kann ich da eigentlich nicht erkennen. Ich empfinde die Arbeiten der ausgestellten Studenten/innen bzw. Absolventen/innen als sehr unterschiedlich. Es handelt sich um Diplomarbeiten, bei denen die Studierenden mit ihren Themenvorstellungen zu mir kommen, aber auch um Studienarbeiten. Sicherlich sind die Arbeiten von Katharina Nitz und Nikos Fokas inszeniert, aber schon bei Nicola Tauscher und Aidin Pajevic sowie Arne Hagen und Boris Steinert kommt der Zufall mit ins Spiel. Von Anna Sewerin werden Fotoscans zu sehen sein und zudem interessant vertonte Videoarbeiten, da Anna selbst musikalisch engagiert ist.

 

Gut, vielleicht ist es vermessen, aufgrund von wenigen Arbeiten auf einen Trend zu schließen. Doch auffallend finde ich, dass bei den Studentenarbeiten in der Ausstellung die dokumentarisch-journalistische Fotografie fehlt, die sonst an den Hochschulen sehr dominiert. Haben Sie dafür eine Erklärung?

 

Die Ausstellung in der Galerie Schuster spiegelt die künstlerische Fotografie an der Hochschule Niederrhein wieder, da auch ich selbst ja rein künstlerisch arbeite und die Ausstellung kuratiert habe. Die Studierenden können selbstverständlich auch dokumentarisch oder journalistisch arbeiten und manchmal biete ich auch dokumentarische Aufgaben an. So haben wir zum Beispiel die Lehrenden und Mitarbeitern/innen unseres Fachbereichs fotografisch dokumentiert. Und demnächst werden wir Menschen an ihrem Arbeitsplätzen im staatlichen und kommunalen Verwaltungsdienst - in Rathäusern und anderen Ämtern - fotografieren und dokumentieren. In meinen Veranstaltungen aber liegt der Schwerpunkt auf der künstlerischen Fotografie.

 

Wie gelingt es Ihnen, eigene Arbeiten und die Lehre miteinander zu verbinden? Anders gefragt: Bleibt noch Zeit für eigene Arbeiten?

 

Die Entwicklung der eigenen Arbeiten ist für mich ganz selbstverständlich und fördert auch meine Ideen für die Lehrtätigkeit. Ich bin der Meinung, dass die Arbeit der Lehrenden an Hochschulen eine Präsenz haben sollte, damit die Studierenden wissen, mit wem sie es zu tun haben und sich orientieren können. Seit den letzten Jahren arbeite ich an längerfristigen Projekten, die mir genügend zeitlichen Spielraum lassen. Im Moment bereite ich eine Ausstellungsreihe mit einem Buch unter dem Titel "Urban Stage" vor. Sie wird im Herbst diesen Jahres in der Landesgalerie in Linz beginnen. Die Arbeit mit Studierenden empfinde ich immer wieder als anspruchsvolle Herausforderung, die auch meine eigene Sichtweise schärft.

 

PHOTONEWS April 2010, S. 24